Lyonel Feininger

17. Juli 1871, New York – 13. Januar 1956, New York

Werke

Das Signalschiff, 1920

© VG Bild-Kunst, Bonn 2020

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Eigentlich, so gestand Lyonel Feininger einmal seiner Frau Julia, hatte er immer Marine-Maler werden wollen. Seine Begeisterung für Schiffe jeder Art reicht bis zu seiner Kindheit in New York zurück, wo er 1871 als Sohn deutschstämmiger Eltern geboren wurde. Schiffe waren für ihn ein lebenslanges Thema. Das Aquarell „Signalschiff“ stammt aus Feiningers frühen Jahren am Weimarer Bauhaus.
Mit einem donnernden Kanonenschuss unterstreicht der mit bunten Flaggen- und Wimpelsignalen bestückte Dreimaster seine Botschaft, die er der kleinen Barke im Hintergrund übermittelt. Am Himmel leuchtet der Halbmond und die Segel flattern nachtblau. Barhäuptige Männer blicken von Bord; und am Schiffsheck steht – beinah gespenstisch – ein Herr mit hohem Hut: eine wiederkehrende Figur in Feiningers Personenrepertoire.
Ein wenig gleicht dieser Herr auch dem Bauhausmeister selbst – mit seinem gediegenen Filzhut wurde er häufig auf Fotos festgehalten.
Als ob die farbenprächtig im Wind stehende Nachricht immer noch übersehen werden könnte, wird der gesamte Schiffsrumpf mit Signalwirkung aufgeladen. Alles ist der plakativen Zeichenhaftigkeit untergeordnet, sogar die Farbe der Segel, deren kaltfarbenes Nachtblau die Leuchtkraft der schrillen Signalfarben erst richtig zur Geltung bringt. Wie ein alle Aufmerksamkeit beanspruchender Startschuss entlädt sich die weithin sichtbare und kaum zu überhörende Botschaft, über deren Bedeutung spekuliert werden darf.
„Ich tobe mich immer nach einem andächtigen, tiefreligiös empfundenen Werke gründlich hinterher aus an skurrilen Kompositionen,“ erklärte Feininger seine Lust an diesen spielerischen Arbeiten. Ähnlich wie Paul Klee, entwickelte auch er eine an kindliche Darstellungsweisen angelehnte Formensprache, die ihre Ausdrucksintensität aus der starken Vereinfachung und den perspektivischen Verzerrungen bezog. Er selbst bezeichnete solche Arbeiten als „Kinderzeichnungen“.

Railroad Train, 1941

© VG Bild-Kunst, Bonn 2020

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Die Bildidee zu „Railroad Train“ von 1941 geht auf ein kleineres Aquarell Feiningers mit dem Titel „Rangierzug“ zurück, das zwanzig Jahre zuvor entstand. Beide Arbeiten basieren auf Feiningers amerikanischen Kindheitserinnerungen an die Eisenbahn-Pionierzeit. In beinahe jedem amerikanischen Haushalt befanden sich im späten 19.
Jahrhundert bunte Drucke von Eisenbahnen und Dampfern, die die Geschichte der amerikanischen Gründerzeit beschworen und so die Vorstellungswelt einer ganzen Generation prägten.
Die Eisenbahn mit ihrer Dampflok fährt der Leserichtung und dem Gefälle der Brückenarchitektur entgegen und durchmisst in ihrer Länge das gesamte Querformat des Bildes. Weil vieles schief ist und auseinander zu fallen droht – die Viaduktbögen werden zu Buckeln, über die der Zug hinwegpoltert – wirkt das Bild geradezu lautmalerisch: man meint das metallische Rattern und Scheppern, das Quietschen und Stampfen zu hören. Das fragile Verhältnis von drückender Maschinenlast und dünnwandiger Brückenkonstruktion, von rußgeschwärztem Eisen oben und rot-blau rhythmischem Farbwechsel unten hält das Bildgeschehen in Atem.
Wie so häufig ging es dem damals siebzigjährigen Feininger, wenn er auf die naive Formensprache kindlicher Zeichnungen zurückgriff, einmal mehr darum, die Vergangenheit festzuhalten und den ewigen Kindheitstraum gegenüber dem unaufhaltsamen Verlauf der Zeit zu verteidigen.

Schiffe im Nebel, 1928

© VG Bild-Kunst, Bonn 2020

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„Schiffe im Nebel“ entstand gegen Ende der Jahre, die Lyonel Feiniger am Bauhaus lehrte. Wahrscheinlich malte der Künstler es nach seinen selbstgebauten Modelljachten, die er während der Wintermonate baute und im Sommer mit seinen Söhnen zu Wasser ließ. Die Fotos, die er davon machte, dienten ihm später als Vorlage.
Seit Jahren verbrachte Feininger damals seine Ferien in Deep, einem Dorf an der pommerschen Ostseeküste.
„Das Meer ist schön und so verlassen und einsam, wie ich noch nie eins sah“, schrieb er von dort seiner Frau – genau diese Atmosphäre übertrug er auf sein Bild.
„Schiffe im Nebel“ zeichnet sich durch ein Höchstmaß an kompositorischer Klarheit und Ruhe aus. Auf der grau-grünen Bildfläche, die zwischen Himmel und Meer kaum unterscheidet, ist die Stille als Thema der Marinemalerei neu entdeckt. Dabei wurden Materie und atmosphärisches Umfeld in scharf gewinkelten Farbschichtungen zu einer Ordnung voller Harmonie gestaltet. Das auf der Wasseroberfläche beobachtete Wechselspiel von Licht und Schatten übertrug der Künstler auf seine Darstellung. Die Konturen der Segel verschieben sich gegeneinander; die Segelflächen werden gleichermaßen dekonstruiert und rekonstruiert: Materie, Wasser, Licht und Luft werden so zu Elementen einer Raum-Architektur.
„Ich zwinge das Bild zur Übernatur“, schrieb der Maler in jenen Jahren. „Aber Stück für Stück muss ich es immer wieder mir erobern, den Gegenstand in Raum zu übertragen.“

Roter Turm II, 1930

© VG Bild-Kunst, Bonn 2020

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„Prisma-ismus“ nannte Lyonel Feininger sein vom französischen Kubismus inspiriertes Konzept, mit dem er „die Geheimnisse der atmosphärischen Perspektive und Licht und Schatten, Stufungen, sowie Rhythmus und Balance zwischen den Objekten der Natur“ erfahrbar machen wollte. Sein „Roter Turm II“ scheint wie durch ein Prismenglas betrachtet und vermittelt mit seinen gebrochenen, scharfkantigen Flächen einen Eindruck von Dauer, Monumentalität und Transzendenz.
1929 erhielt Feininger den repräsentativen Auftrag, eine Ansicht der Stadt Halle an der Saale zu malen. Das Bild sollte ein Geschenk für das Oberpräsidium der Provinz Sachsen werden. So begann ein Projekt, das sich letztlich über mehrere Jahre hinstreckte. Eine Serie von elf großen Arbeiten entstand – zudem eine große Anzahl von Fotos, Skizzen und Notizen.
Der Rote Turm ist zusammen mit den übrigen vier Kirchtürmen das Wahrzeichen der Stadt Halle. Die fallenden Fluchtlinien der umgebenden Bürgerhäuser simulieren eine dynamische Stauchung der Straßenperspektive. So rückt der Turm noch näher zum Betrachter und überstrahlt sein Umfeld mit gesteigerter Präsenz. Menschen ordnet der Maler dem geometrischen Gefüge unter.
Der Bildraum scheint aus widerstreitenden Energien zu bestehen. Braun- goldene, sich vielfältig überlagernde und brechende Farbtöne erzeugen einen transparenten Klang, in dem jede Erinnerung an den von Hektik und Nervosität geprägten Lebensalltag getilgt ist.

1931 erwarb die Stadt Halle Feiningers Serie und stellte sie in ihrem Museum Moritzburg aus. 1937 wurden die Bilder von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und teils in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt.

Weitere Werke des Künstlers in der Sammlung :

Enchanted Isles, 1942

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Verwunschene Orte jenseits der Vorstellungskraft, Spukgeschichten und Darstellungen aus dem „Nimmermehr-Land“ sind Themen, denen sich Feininger zu Beginn der 1940er Jahre immer häufiger widmete. Die Bilder nannte er dann Phantom Ship, Enchanted Night, Voyage by Moonlight oder Coast of Nevermore. In diesen Zusammenhang gehört auch das vorliegende Aquarell, Enchanted Isles — Verzauberte Inseln, mit dem er einmal mehr den amerikanischen Pioniergeist vergangener Tage auferstehen läßt.
Ein Dreimaster aus vergangener Zeit kreuzt an den Gestaden einer zauberischen Inselwelt. Nur als hauchdünne Linien zeichnet Feininger sein Motiv in die wenig kontrastierenden Farbverläufe und bringt es dadurch an den Rand des Verschwindens. Schwerelos gleitet das in zart-gelbes Licht gehüllte Schiff durch türkisblaues Wasser und passiert die kahle, offenbar unbewohnte Inselgruppe. Graue Nebelschwaden sind mit dem Schwamm aufs Papier getupft und setzen sich von den nass-in- nass verlaufenden Farben des Hintergrunds ab. Sanft umspülte Felsen ragen steil in den Himmel und überschneiden dort eine zweite Insellandschaft, die zwischen Wolken und Horizont schwebt.
Nachdem Feininger 1937 das nationalsozialistische Deutschland für immer verlassen hatte und in seine amerikanische Heimat zurückgekehrt war, gestaltete sich der Neubeginn in der alten Heimat überaus schwierig. War die künstlerische Produktion zuvor bereits ins Stocken geraten, so versiegte sie nun vollends.
Es bedurfte einer längeren Pause bis er im Mai 1941 vermelden konnte: “Diesen Winter habe ich ziemlich viel gemalt. Mehr als erhalten blieb, wurde wieder zerstört und übermalt. Ich habe seit November kaum einen Tag ausgesetzt, und bin endlich über die quälende Akklimatisationsperiode hinaus.“

Entwurf für ein Wandbild im Speisesaal des Luxusliners „SS Constitution“, 1950

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1950 erhielt Lyonel Feininger den Auftrag eines Wandbilds für den Erste-Klasse-Speisesaal des Luxusliners „SS Constitution“. Davon ist heute nur diese Ölstudie – hier in der Sammlung Ziegler – erhalten. Das 1951 vom Stapel gelaufene Schiff wurde Mitte der 1990 Jahre abgewrackt – dabei Einrichtung und Dekorationen zerstört. Am Ende wurde es vor Hawaii versenkt.
Hielt der Maler sonst in seinen Bildern das Meer vom Küstenstandort her fest, fühlte er sich nun in den Betrachterstandpunkt der Schiffspassagiere ein und entwarf eine Küstenansicht. Messerscharf zeichnete er ein Panorama, dessen symmetrischer Aufbau im extremen Querformat den Raumanforderungen des Speisesaals diente. Aus den Nebelschwaden lösen sich die Landschaftskonturen der parallel verlaufenen Küstenlinien um eine zentrale Achse: Landschaft und Architektur der vorderen Inseln bilden ein stumpfes Dreieck, das im Dorfkirchturm kulminiert und im zentralen Gipfel des fernen Gebirges im Hintergrund nachklingt. Obwohl Schiffe und Inseln im Mittelgrund unregelmäßig verteilt sind, schafft Feininger durch die flankierenden Farbfelder – vielleicht sind es Nebelfelder – eine symmetrische Balance.
Fast achtzigjährig war Lyonel Feininger, als er diesen Entwurf ausführte. Obwohl er sich inzwischen wieder in den Vereinigten Staaten zuhause fühlte, kam er von seinen Erinnerungen an die Ostsee und den dort entstandenen Natur-Notizen nicht mehr los. „Was ich wirklich misse“, schrieb er drei Jahre später an seinen Sohn, „ist nach der Natur zeichnen und „Notizen“ zu machen wie an der Ostsee, in Deep […] irgendwie genügen mir die Motive hier nicht, sie enthalten zu wenig von meinen inneren Wünschen und führen nur zu naturalistischen Ergebnissen.“