VON DER SAMMLUNG ZIEGLER ZUR "STIFTUNG SAMMLUNG ZIEGLER"
Seit den späten 1950er Jahren hat der Mülheimer Chemiker und Nobelpreisträger Karl Ziegler (1898-1973) zusammen mit seiner Frau Maria eine hochkarätige Sammlung zur Kunst des Expressionismus und der klassischen Moderne aufgebaut, die zu den bedeutendsten der Region zählt. Der aus dem hessischen Helsa stammende Wissenschaftler kam über seine Lehrverpflichtung in Halle 1943 nach Mülheim an der Ruhr, wo er bis 1969 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Kohlenforschung (Max-Planck-Institut) leitete. Mit den Einnahmen aus seinen Patentrechten für die Normaldruckpolymerisation konnte der Forscher und spätere Ehrenbürger der Stadt das Institut über Jahrzehnte hinweg finanziell unabhängig stellen, und für ihn selbst eröffnete sich die Möglichkeit, seine Kunstsammlung mit Bildern von internationalem Rang zu bereichern und auszubauen.
Der Grundstein für die Sammlung wurde 1958/59 gelegt. Zu den ersten Ankäufen zählten Tiergarten II von Erich Heckel, Carona von Karl Hofer, Blumengarten mit Fingerhüten und Feuerlilien von Emil Nolde sowie Franz Marcs Landschaft mit Tierdarstellungen . In den 1960er Jahren kamen dann Werke von August Macke, Emil Nolde, Max Beckmann und Lyonel Feininger hinzu, gefolgt von den Erwerbungen der frühen 1970er Jahre, darunter Staudacher Haus , Stickende Frau und Bei den Papageien von August Macke sowie die Landschaft von Alexej Jawlensky. Die Bilder spiegeln die Liebe zu Natur und Garten sowie zu Orten, denen die Eheleute eng verbunden waren. So dürfte das 1967 erworbene Gemälde Roter Turm II von Lyonel Feininger die Familie an ihre gemeinsame Zeit in Halle erinnert haben (1936-1945), wo Karl Ziegler langjähriger Leiter des Chemischen Instituts der Universität gewesen war.
Bei den Ankäufen ließen sich die Eheleute nur selten beraten, vertrauten weit häufiger ihrer Intuition und gaben den eher hellen und intimen Bildern den Vorzug. „Ausschließlich die Freude am Schönen war jeweils der Anlass zum Erwerb der uns umgebenden Kostbarkeiten“ äußerte sich Karl Ziegler später einmal. Gesammelt wurde demnach nicht nach kunsthistorischen Gesichtspunkten, sondern nach rein ästhetischen Vorlieben, wobei Karl und Maria Ziegler die Bilder fast immer gemeinsam aussuchten. Aus diesem intuitiven Zugang zur Kunst entwickelte sich eine konsistente Kunstsammlung, die einen sehr persönlichen Einblick in die Malerei des frühen 20. Jahrhunderts gewährt.
Mit ihrem Interesse an der Kunst des Expressionismus und der klassischen Moderne fügen sich die Eheleute Ziegler in ein Sammlerprofil, das im Deutschland der 1950er Jahre nicht ungewöhnlich war. Ein großer Teil der Öffentlichkeit konzentrierte sich damals gerade auf die Kunst, die vor dem Zweiten Weltkrieg internationale Anerkennung gefunden hatte und im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ während der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verbannt worden war. In jenen Jahren erschienen die ersten wissenschaftlichen Monographien und Dissertationen zum Thema; Museumsleiter versuchten mit Hilfe privater Förderer die vormals enteigneten Bestände wieder zurückzugewinnen, und auch die Documenta I von 1955 ließ vor allem die Künstler zu Ehren kommen, die zehn Jahre zuvor noch als „entartet“ diffamiert und mit Berufsverbot belegt worden waren.
Die von dem Ehepaar Ziegler im Verlauf von rund 20 Jahren zusammengetragenen 44 Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen haben seit 1981 ihre Heimat im Mülheimer Kunstmuseum. Einzelne Bilder sind seitdem immer wieder auf den großen Überblicksausstellungen zur Kunst des Expressionismus und der klassischen Moderne zu sehen gewesen; sie haben dazu beigetragen, dass nicht nur die Sammlung Ziegler, sondern auch das Mülheimer Kunstmuseum überregional und international wahrgenommen werden konnte. Die Bilder sind Herzstück der Mülheimer Dauerausstellung und zugleich Grundstock der Stiftung Sammlung Ziegler, die 2002 ins Leben gerufen wurde. In die selbstständige Stiftung kamen sowohl der Bestand von Karl und Maria Ziegler als auch diejenigen Bilder, die von der nachfolgenden Generation der Familie gesammelt worden sind: 71 weitere Werke des Expressionismus und der klassischen Moderne. Das von der Familie zusätzlich eingebrachte Stiftungskapital soll die konservatorische und wissenschaftliche Betreuung der nunmehr 115 Werke umfassenden Sammlung finanziell und personell auf Dauer sicherstellen.
In der Zusammenschau der beiden Werkkomplexe zeigt sich die internationale Klasse der Sammlung allein schon durch die Vielzahl hochkarätiger Arbeiten des rheinischen Expressionisten August Macke: Ein Werkblock von 15 Gemälden und Aquarellen findet seinesgleichen nur noch in Bonn und Münster. Mit besonderem Schwerpunkt auf den Bildern von Emil Nolde, Franz Marc, Lyonel Feininger, Erich Heckel, Alexej Jawlensky und Paul Klee umfasst die Sammlung weitere wichtige Werke, u.a. von Max Beckmann, Lovis Corinth, Otto Dix, Ernst Ludwig Kirchner, Oskar Kokoschka, Käthe Kollwitz, Oskar Moll, Otto Mueller, Paula Modersohn-Becker, Hans Purrmann, Christian Rohlfs und Karl Schmidt-Rottluff.