Franz Marc

8. Februar 1880, München – 4. März 1916, Verdun

Werke

Rotes Reh (Schlafendes Reh), 1913

Audio- und Textinformation zum Werk

   Audioinformation


Ein Jahr vor seinem Tod als Soldat im Ersten Weltkrieg hatte Franz Marc in seiner zivilisationskritisch motivierten Suche nach „der inneren Wahrheit der Dinge“ eine deutliche Sicherheit gewonnen. Der romantischen Vorstellung von einer durchgeistigten Natur gab er eine ganz neue Wendung: Über die Kunst sollte die schmerzlich empfundene Trennung zwischen Mensch und Natur überwunden und in einer visionären Durchdringung aufgehoben werden. Intensiv hatte er sich zu jener Zeit mit Robert Delaunay und den Futuristen auseinandergesetzt und begann nun seine Phantasien in die Konstruktion abstrakter Bildordnungen zu überführen.

Zwar ist das Reh inmitten der Berglandschaft als Bildgegenstand noch deutlich erkennbar, doch bringt Marc die gesamte komplexe Erscheinungswelt auf einen geometrischen Nenner. Büsche und Bäume werden durch eine Abfolge grüner Dreiecke wiedergegeben; das Tier und die Berge dagegen sind in harmonischen Kurven beschrieben. Alles greift ineinander und wird so zusammengefügt, dass jede Vorstellung von Schwerkraft, Dreidimensionalität, Perspektive und Greifbarkeit schwindet. Im Zentrum der Komposition ruht der Rehkörper, geborgen in einem Gehege von Licht und Farben. Der Maler wollte „ein unirdisches Sein“ zeigen, „das hinter allem wohnt.“

Häufig arbeitete Marc an mehreren Fassungen zu ein und demselben Thema. Von dem Schlafenden Reh existiert eine Variante im New Yorker Guggenheim Museum — über den Verbleib der für beide Fassungen zugrunde liegenden Vorstudie ist nichts bekannt.

Pferde in der Schwemme, 1908

Audio- und Textinformation zum Werk

Audioinformation


Die Lithographie „Pferde in der Schwemme“, von der nur eine geringe Anzahl Exemplare erhalten ist, gilt in der Kunstgeschichte als erste wichtige Pferdedarstellung Franz Marcs. Bereits während seines einjährigen Wehrdiensts hatte sich der junge Maler mit Pferden beschäftigen können. Als er sich später, 1908, in den Sommermonaten im oberbayrischen Lenggries aufhielt, soll er dann immer wieder auf die Pferdewiese gelaufen sein, um Wesen und Anatomie der Tiere
„auswendig“ zu lernen.
Dabei ging es ihm hauptsächlich darum, die Komplexität des natürlichen Vorbilds auf das Wesentliche zu reduzieren. Geradezu choreographisch setzt Franz Marc hier die beiden Pferde in Szene. Ihre Bewegungsabläufe verbinden sich und bringen sich auf diese Weise gegenseitig zum Ausgleich: das Pferd vorn wendet seinen Hals nach unten und ist mit seiner Fellpflege beschäftigt – das Tier hinten steht aufrecht da und blickt wachsam in den Wald. Alles ist einer tänzelnden Kreisbewegung unterworfen. Die Pferde, aber auch die flächige Farbanlage des Vordergrunds gegenüber dem kleinteilig gekratzten Bildhintergrund, führen diagonal in den Bildraum ein. Dabei balancieren sich alle Details gegenseitig aus und finden in dynamischen Linienschwüngen zueinander.
Zwar gab es bereits seit dem 17. Jahrhundert die Tradition, Pferde nicht nur allein, sondern zu zweit – sozusagen als kompositorisches Paar – darzustellen, doch war auch da der Mensch stets gegenwärtig, auch in seiner Abwesenheit, wenn Stallungen und bäuerliches Gerät an seine Stelle traten. Franz Marc hat das Pferd aus dieser klassischen Bindung an den Menschen in eine vollkommen selbst bestimmte Existenz entlassen. Bei ihm wird das Tier zum Inbegriff projizierter Sehnsüchte. August Macke, der diese Lithographie 1910 in einer Münchner Ausstellung wegen ihrer dichten Gestaltungsweise bewunderte, nahm sie zum Anlass für einen Besuch bei Franz Marc. Es war der Beginn einer intensiven Freundschaft zwischen beiden Künstlern.

Landschaft mit Fabeltier, Mittelteil eines dreiteiligen Ofenschirms, 1913

Audio- und Textinformation zum Werk

Audioinformation


Franz Marc trachtete im Verlauf seiner künstlerischen Entwicklung immer mehr danach, „ein unirdisches Sein zu zeigen, das hinter allem wohnt.“ Es ging ihm um die Vision einer kosmischen Ordnung, die in den zunehmend abstrakter werdenden Sprachmitteln Ausdruck findet und Anregungen aus babylonischen, buddhistischen und christlichen Schöpfungsmythen erhält.
„Landschaft mit Fabeltier“ ist eine dieser kosmischen Szenerien; die Tafel war ursprünglich das Mittelteil eines Ofenschirms. Leider wurde die ehemals dreiteilige Komposition in den späten 1950er Jahren zerlegt und über verschiedene Auktionen an unterschiedliche Besitzer verkauft. Erst 1984, in einer Ausstellung in Washington, wurden die Einzelteile des bemalten Ofenschirms wieder zusammen gezeigt und konnten von der Forschung erstmals zusammenhängend begutachtet werden.
Alle drei Teile werden durch einen Regenbogen formal und inhaltlich zusammengehalten. Dieser schwebt über einer kosmischen Landschaft, in der verschiedene Tiere hausen. Dabei scheint alles von geheimer Kraft durchwirkt – sowohl das Kometenlicht am Himmel, als auch die Lockenmähne des Fabelwesens. Mit wenigen Mitteln schuf Marc hier eine visionäre Weltenlandschaft – Heimat eines neuen phantastischen Wesens. Mit träumerisch geschlossen Augen neigt das Fabeltier seinen von einer wallenden Mähne gekrönten Kopf; rot-blau leuchtet – am unteren Bildrand – seine Raubtierpranke.
Mit dem Regenbogen als Sinnbild des neuen Bundes und der Sintflut als Zeichen des Neubeginns aus dem Untergang gründete Marc seine Darstellung auf christlichen Bildvorstellungen.
So wurde die Kunst für den Maler – vor seinem frühen Tod im ersten Weltkrieg – zum Vermittler einer Heilsvorstellung, die auf der Zerstörung der Alten Welt basierte und einen radikalen Neubeginn erhoffen ließ.

Kleines Mädchen mit weißem Kragen, 1905

Audio- und Textinformation zum Werk

Audioinformation


Der Maler Franz Marc befand sich 1905 in einem turbulenten Abschnitt seines Lebens. Der Fünfundzwanzigjährige hatte nach einer ausgedehnten Frankreichreise die Münchner Kunstakademie verlassen und war endlich in ein eigenes Atelier gezogen. Außerdem war er in die neun Jahre ältere, verheiratete Annette Simon verliebt. „Kleines Mädchen mit weißem Kragen“ zeigt eine der beiden Töchter dieser Freundin. In ihrem knöchellangen, schwarzen Kleid steht das Mädchen in einer klassischen Porträtpose, die sich mit einer knapp Vierjährigen kaum vereinbaren lässt: das rechte Bein ist nach hinten aufgestellt und im Schoß hält das Kind ein Buch. Unklar bleibt so das Verhältnis von Proportion und anatomischer Folgerichtigkeit. Auch die kantigen Strichlagen, die vage die Plastizität der Figur beschreiben, beweisen, worauf es Franz Marc eigentlich ankam. Er deutete Körper und Bewegung nur an, um dem Gesicht Rahmen und Raum zu verleihen. Offensichtlich liegt der zeichnerische Schwerpunkt auf den nuanciert ausgearbeiteten Gesichtzügen – wobei sich der weiße Kragen wie eine Trennlinie zwischen flüchtig skizzierten Körper und sorgsam modelliertes Gesicht schiebt.Ganz diskret stehlen sich Anmut, Intimität, aber auch der Eigenwille des Kindes, in diese hier wiedergegebene, eigentlich vom 19. Jahrhundert vorgeprägte Pose – als Kinder noch wie kleine Erwachsene dargestellt wurden.

Mädchen mit Katze, 1910

Audio- und Textinformation zum Werk

Audioinformation


Um 1910 beschäftigte sich Franz Marc noch einmal ausführlich mit dem Figurenbild, bevor er ab 1912 fast ausschließlich Tierbilder malte. Die zahlreichen Skizzen, die er in dieser Zeit von seiner Frau Maria anfertigte, verarbeitete er anschließend zu größeren Kompositionen und setzte dabei oft auch die hauseigene Katze ins Bild.
„Mädchen mit Katze“ ist eine Studie zu den beiden Porträts seiner Frau, die zwischen 1910 und 1912 entstanden sind.
Hier deutet Marc den Bildhintergrund nur an. So schafft er Raum für die sitzende junge Frau mit meergrüner Bluse und schieferblauem Schultertuch. Ihre Körperhaltung – wie sie sich dem Betrachter zuneigt und die Katze in ihren Armen hält – ist, ebenso wie das blaue Tuch, eindeutig traditionellen Mariendarstellungen nachempfunden. Diesen Bildtypus füllt der Maler hier mit neuem Inhalt – äußere Ruhe steht in gezielter Spannung zu innerer Erregung, die auch durch die formalen Gegensätze beschrieben wird. Neben der dynamisch verdrehten Körperhaltung und dem Rot-Grün-Kontrast ist es vor allem der abrupte Wechsel zwischen ruhiger und affektgeladener Pinselführung, mit dem er das innere Empfinden darstellt. Rundungen und Bewegungen, gleich gestimmte Schwünge und Konturverläufe, führen in diesem Bild zu einer sich verdichtenden Kreisbewegung. Gerade diese Rotation schafft ein magisches Band zwischen Frau und Katze. „Animalisierung des Kunstempfindens“ nannte Franz Marc sein malerisches Anliegen.

Schafherde I , 1908

Audio- und Textinformation zum Werk

Audioinformation


Wie kann die Tierdarstellung zum Thema einer neuen Malerei werden? Diese Frage beschäftigte Franz Marc um 1908, während er den Sommer im oberbayrischen Lenggries verbrachte. Zwar war er noch weit von einer stimmigen Antwort entfernt, doch die vorliegende Gouache

„Schafherde I“ gibt Auskunft über seine Gedankengänge.

Die zündende Idee im Verlauf der künstlerischen Umsetzung war letztendlich, den gesamten Bildraum über die Tierkörper zu erschließen – dabei den Betrachter so dicht wie möglich an die Darstellung heranzuführen, und damit dem Bildgegenstand, also der Schafherde, etwas geradezu Monumentales zu verleihen.

Sechs Schafe – darunter zwei schwarze – sind in dieser Darstellung paarweise aufeinander bezogen. Durch den Blick gegen einen Berghang wirkt ihre Anordnung flächiger, die Tiere erscheinen dichter beieinander und bilden so ein kompaktes Ganzes. Ihre Abfolge von vorn nach hinten wird durch das Auf und Ab der Körper, die harmonischen Konturlinien sowie die den Raum ausmessenden Blicke der Tiere in einen kompositorischen Fluss gebracht. Die auf den ersten Blick wie zufällig da stehenden Schafe geraten – fast wie von selbst – in eine künstlerische Ordnung.

Pferd in Landschaft, 1910

Audio- und Textinformation zum Werk

Audioinformation


Franz Marc schrieb einmal zu seiner Wahl, das Tier zum Mittelpunkt seiner Kunst zu machen: „Das Tier schien mir schöner, reiner“. Sein malerisches Interesse galt jedoch nicht der bloßen Tierabbildung. So fragte er mit gewisser Konsequenz: „Gibt es für Künstler eine geheimnisvollere Idee als die Vorstellung, wie sich wohl die Natur in dem Auge eines Tieres spiegelt? Wie sieht ein Pferd die Welt?“
In der akademischen Malerei des 19. Jahrhunderts wurden Tiere stets im Umfeld des Menschen gezeigt, dienend, romantisiert oder zur Schau gestellt. Bei Marc wirken sie selbstbestimmt, dem Zugriff der Menschen auf eigentümliche Weise entzogen und nur den Gesetzen von Natur und Kunst verpflichtet.
Die Zeichnung „Pferd in Landschaft“ von 1910 ist ein überzeugendes Beispiel für diese künstlerische Zielsetzung. Mit parallel geschwungenen Strichlagen, die an die Pinselführung Van Goghs erinnern, wird das sich wohlig räkelnde Tier in einen pulsierenden Rhythmus gebracht. Das Pferd hat sich mit einem kräftigen Schwung vom Boden erhoben, Wellenbewegungen durchlaufen den Tierleib bis in den Schweif. Alle Natur schwingt in diesem Zustand mit. Hier lässt sich nachvollziehen, was Marc mit dem „Empfinden für den organischen Rhythmus aller Dinge“ meinte, und was er bei Vincent van Gogh so sehr bewunderte: Bei ihm „ist alles animalisch geworden… vor allem die Malerei selbst.“

Fohlen, 1909